LAPIS NIGER
Am nordwestlichen Rand des Forums in Rom war in alten Zeiten eine Fläche mit schwarzem Marmor gepflastert: dies, so sagte man, sei die Mitte der Welt.
Nicht des Steines wegen, sondern, so hatte die Erinnerung sich verwischt, weil angenommen wurde, unter dem schwarzen Stein läge das Grab des Romulus, des Gründers von Rom. Das Forum, das Herz des Imperiums, darin das Grab des Begründers: das Zentrum der Welt, das Herz der Welt. Die Erinnerung trog. Die Erinnerung war gefälscht. Man hatte Romulus durch einen Sturm in den Himmel zu den Göttern aufsteigen lassen, Apotheose, der Gründer wurde, wie die Cäsaren nach ihm, selbst zum Gott. Nur einer, Livius, erzät eine andere Geschichte: Romulus, der sich zum Alleinherscher aufschwingen wollte, wurde von den Senatoren neben dem Tempel des Vulcanos zerhackt:
"Ich glaube aber, das schon damals einige heimlich glaubten, dass er Stück f¸r Stück von den Senatoren zerrissen worden sei". Die Senatoren selbst hätten die Geschichte verbreitet,um das Volk ruhig zu halten, er sei zu den Göttern aufgefahren und zum Gott geworden.
Als man am Ende des 19.Jahrhunderts das Forum aufgrub, fand man den Lapis Niger, daneben die Reste des Tempels des Vulkan: Hier war nicht Romulus Grab, hier war seine Sterbestelle. Die Mitte der Welt: Macht, Mord, Lüge. Noch immer.